Diskussionsbeitrag:
Strategie zum Schutz der Flussperlmuschel in Bayern
2009
Christine Schmidt, Schmidt & Partner
GbR
Auch gut strukturierte Bäche haben oft
ein Schlammproblem
1 Anlass
2004 hat das Bayerische Landesamt für Umwelt
den Leitfaden Flussperlmuschelschutz (Sachteleben et al.
2004) herausgegeben, in dem eine Strategie zum Erhalt
ihrer Bestände und Lebensräume formuliert ist. In den
vergangenen Jahren wurden in Bayern ein LIFE-Natur-Projekt
sowie zahlreiche Maßnahmen an einzelnen Muschelgewässern
durchgeführt, neue Methoden wurden erprobt und neue
Erkenntnisse über die Genetik der Art gewonnen. Die
Flussperlmuschel ist jedoch weiter stark bedroht.
Europäische Verpflichtungen zur Umsetzung der FFH- und
Wasserrahmen-Richtlinien sowie die Bayerische
Biodiversitätsstrategie stellen große Chancen zum Schutz
der Art dar. Um diese Chancen nutzen zu können, ist eine
aktuelle Bestandsaufnahme und die Neuausrichtung einer
konsequent zu verfolgenden Schutzstrategie erforderlich.
Die neu geschaffene Koordinierungsstelle und die
wissenschaftliche Begleitung können hier wertvolle Hilfe
bei der Umsetzung leisten.
2 Aktueller Status
Die Flussperlmuschel gilt weltweit als
"endangered" (Baillie & Groombridge 1996). Sie ist
damit in die gleiche Gefährdungsstufe eingeordnet wie
Europäischer Nerz, Berggorilla und Bengalischer Tiger.
Durch die Aufnahme in den Anhang II der FFH-Richtlinie
(Rat der Europ. Gemeinschaften 1992) sind die EU-Staaten
eine Verpflichtung eingegangen, im Rahmen der Schaffung
eines europäischen Netzes von Schutzgebieten NATURA 2000
die Vorkommen und Lebensräume der Art zu erhalten.
In Deutschland ist die Flussperlmuschel vom Aussterben
bedroht. Neben kleinen Restbeständen in Rheinland-Pfalz,
Nordrhein-Westfalen, Hessen und Sachsen und dem einzigen
sich momentan wohl ausreichend verjüngenden Vorkommen in
Niedersachsen (Altmüller & Dettmer 2006) liegt der
deutsche Verbreitungsschwerpunkt in Bayern:
50 bis 60 von ursprünglich mindestens 131 Vorkommen
(Hessling 1859) überlebten hier bis heute (Young et al.
2001). In den letzten 20 Jahren ist ein dramatischer
Rückgang auch innerhalb der Populationen zu verzeichnen.
In mehr als 30 Bächen leben inzwischen weniger als 100
Muscheln. Die Zahl der reproduzierenden Bestände liegt bei
2-3 (Sachteleben et al. 2004). Mit derzeit noch jeweils
mehr als 90 % aller Vorkommen und aller Individuen
der Perlmuschel trägt Bayern dennoch die
Hauptverantwortung für den Erhalt der Art in Deutschland.
3 Beeinträchtigungen
Der fortschreitende Rückgang der bayerischen
Bestände ist verursacht durch eine erhöhte Adultmortalität
(Vandré & Schmidt 2007) und ausbleibende Reproduktion
in mehr als 90 % der Populationen (Sachteleben et al.
2004).
Maßgebliche Faktoren hierfür sind:
- Eutrophierung: Erhöhte Nährstoffeinträge aus häuslichen
und fischereilichen Abwässern oder als Folge einer
düngeintensiven Landnutzung der Gewässereinzugsgebiete
haben negative Auswirkungen auf die Sterblichkeit aller
Altersstadien der Flussperlmuschel (Bauer 1988). Über eine
gesteigerte Algen- und Wasserpflanzenproduktion tragen sie
zudem zur Verschlammung des Gewässerbettes bei.
- Verschlammung: Die Belastung der Gewässer mit
Feinsedimenten führt zum Verlust von geeigneten
Aufwuchshabitaten für Jungmuscheln (Altmüller &
Dettmer 2006, Geist & Auerswald 2007). Änderungen der
Landbewirtschaftung im vergangenen Jahrhundert (Vandre et
al. 2000) erhöhten den Sedimenteintrag. Äcker, stark
überweidete Flächen und forstliche Kahlschläge sind
mögliche Quellen der schädlichen Feinsedimente. Durch
Arrondierung und Wegebau mit begleitenden Gräben wurden
sie vielerorts an die Muschelgewässer angeschlossen.
Gleichzeitig gingen Hecken, Raine und
Überschwemmungsbereiche - Rückhalteflächen für erodierte
Feinsedimente zu einem erheblichen Teil verloren. Auch die
Destabilisierung der Ufer durch Entfernung der Gehölze
birgt Erosionsgefahr.
- Änderungen des Wasserregimes und der Gewässerstruktur:
Drainagen, Begradigungen, Abflussregulierungen, Längs- und
Querbauwerke haben die Gewässer und ihre ökologische
Funktionsfähigkeit nachhaltig verändert. Der Verlust von
Muschel- und Fischhabitaten ist die Folge.
- Defizite im Wirtsfischbestand: In den schwach
gepufferten Perlbächen waren geringe Bachforellenbestände
früher i.d.R. Folge der Gewässerversauerung. Heute können
Eutrophierung und Gewässererwärmung zur Verschiebung des
Fischartenspektrums und der Verdrängung der Bachforelle
aus den muschelführenden Strecken führen (z. B. Schmidt et
al. 2008, Geist pers. Mitt.). Auch ungünstige
Gewässerstrukturen und das Fehlen von Unterständen können
einen Wirtsfischmangel bedingen.
- Predation und Konkurrenz: Neben den Fraßfeinden Bisam
(Hochwald 1990) und Waschbär (Motte, pers. Mitt.) sorgt
der Biber durch die Überstauung von Muschelbänken und die
damit verbundene Verschlechterung der Habitatbedingungen
(s. hierzu Rudzite 2005, Klein & John 2002) zunehmend
für Naturschutzkonflikte. Übergriffe des Signalkrebses auf
Muscheln (Schmidt & Landgraf 2009) sind bisher die
Ausnahme, könnten in Zukunft aber von Bedeutung werden, da
die Art auch in Bayern in Ausbreitung begriffen ist.
- Klimawandel: Prognostizierte Witterungs- und
Temperaturveränderungen betreffen auch die
Flussperlmuschel. Als Kaltwasserart, die zudem an
sauerstoffbedürftige Bachforellen gebunden ist, wird sie
auf Erhöhungen der Wassertemperatur wohl negativ reagieren
(Hastie et al. 2003). Extremere Niederschlagsverteilungen
können zu Verdriftung und Zerstörung von Muschelbänken bei
Hochwasser führen, während in Niedrigwasserphasen
Muschelbäche austrocknen oder die Tiere durch die
Konzentration von Schadstoffen geschädigt werden können.
Entscheidungen zum zukünftigen Flussperlmuschelschutz in
Bayern, die am nachhaltigen Erfolg orientiert sind, müssen
auf der Grundlage sorgfältig abgewägter Überlegungen
gefällt werden. Hierbei sollten jetzt folgende Fragen
beantwortet werden:
Welche Vorkommen werden als prioritär
eingestuft?
Unter Berücksichtigung der im Leitfaden
aufgeführten Kriterien zur Populationseinschätzung und
zusätzlicher Informationen zur genetischen Ausstattung der
Bestände ist die Liste der prioritären Bestände in Bayern
zu aktualisieren.
Mit welchen Maßnahmen können die
(prioritären) Populationen erhalten werden?
Grundvoraussetzung aller Schutzbemühungen
ist die Sicherung der Bestände, denn die adulten Muscheln
bilden das Reproduktionspotenzial und den Genpool. Wo die
Gewässer für die Ansprüche von Altmuscheln bereits
Defizite aufweisen, sind deshalb sofortige Maßnahmen zu
ergreifen. Informationen zu Populationsparametern
(Bestandsgröße, Altersaufbau, Mortalitäts- und
Trächtigkeitsraten), zur aktuellen Habitatausstattung, zu
bestehenden Belastungen sowie zum notwendigen
Sanierungsbedarf sollten z. B. im Rahmen von
Detailanalysen zusammengestellt werden.
Kosten pro Detailanalyse (grobe Schätzung): 5.000 - 15.000
Euro (je nach Größe und Komplexität des
Gewässereinzugsgebietes)
Welche Risiken bergen Faktoren wie Klima-,
Landschaftswandel und sonstiger Druck auf die
Populationen?
Auswirkungen des Klimawandels oder der
Änderungen der Welt-Agrarpolitik auf die Muschelbestände
sind momentan ebenso unvorhersehbar wie das Auftreten von
Räubern, Krankheiten etc. Sie können daher in aktuelle
Strategieüberlegungen nicht einbezogen werden. Zwar
sollten sowohl die Risiken als auch die Erfolgsaussichten
jedes Projektes jetzt bestmöglich abgeschätzt werden,
trotzdem kann und wird es in Zukunft in Einzelfällen
notwendig werden, geeignete Instrumentarien für besondere
Herausforderungen (Konkurrenz von Bibern, Gefährdungen
durch Dürre etc.) zu entwickeln.
Grundsätzlich bieten zwei Wege Chancen, die
Muschelvorkommen zu erhalten:
1.die Sicherung und Wiederherstellung funktionaler
Muschelhabitate durch Sanierung der Gewässer und ihrer
Einzugsgebiete
2.die Verstärkung der bestandesstützenden Maßnahmen incl.
der Muschelzucht
Dabei stellen die beiden Strategien keine Alternativen
dar: Dem Habitaterhalt bzw. der -sanierung kommt die erste
Priorität zu, denn die adulten Muscheln müssen überleben
können und für Jungmuscheln müssen - zeitgleich mit der
Zucht - geeignete stabile Auswilderungshabitate
geschaffen werden, sofern die Zucht nicht vergebens sein
soll.
1. Habitatsanierung
Welche Maßnahmen sind zur Sanierung
prioritärer Gewässer notwendig?
Die Beziehungen im Gewässer und die
Komplexität der Gewässer-Umland-Beziehungen
erfordern eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, um
in der Summe eine nachhaltige Sanierung bewirken
zu können:
Veränderungen der Gewässerstruktur, Bau von
Sedimentrückhalten, Änderungen der Landnutzung im
(unmittelbaren) Einzugsgebiet durch
Agrarumweltprogramme, regionale
Vermarktungsprogramme etc.
Hierbei ist eine koordinierte Zusammenarbeit
zwischen Naturschutz-, Wasserwirtschafts-, Forst-
und Landwirtschaftsverwaltung (AELF, ALE) sowie
Fischerei mit den Kommunen anzustreben, die
vielfältige Ansatzpunkte zur Habitatsanierung
haben.
Eine grobe Abschätzung der Gesamtkosten für die
Wiederherstellung jedes Muschelhabitates
ermöglicht eine belastbare Einschätzung der
Umsetzungschancen.
Kosten (grobe Schätzung): 100.000 bis mehrere Mio
Euro pro Vorkommen
In welchem Zeitraum sind die
Sanierungen zu leisten?
Die weitgehende Überalterung der
Bestände und die erhöhte Adultmortalität erfordern
den sofortigen Beginn von Habitatverbesserungen.
Vorkommen in Bächen, für die diese innerhalb der
nächsten Jahre nicht realistisch erscheinen,
sollten in der Prioritätenliste unberücksichtigt
bleiben.
Wo und in welchem Umfang sind
weitergehende Artenhilfsmaßnahmen sinnvoll?
In Vorkommen, die noch
infektionsfähige Glochidien produzieren und die
in absehbarer Zeit jungmuscheltaugliche Habitate
aufweisen können, bieten sich bestandesstützende
Maßnahmen an. Das Beispiel der Lutter mit
inzwischen mehr als 10.000 jungen Perlmuscheln
zeigt eindrücklich, dass schon die fortgesetzte
Wirtsfischinfektion bei gleichzeitiger
Gewässersanierung eine wirkungsvolle Maßnahme zur
Bestandsverjüngung ist.
Kosten (grobe Schätzung): 3.000 - 5.000 Euro pro
Bestand und Jahr
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2. Muschelzucht
Für welche Populationen erscheint
die Muschelzucht als Begleitmaßnahme sinnvoll?
In Frage kommen hier solche
Bestände, die kurz vor dem Erlöschen stehen und
für die die Zucht eine "Arche Noah" darstellt, da
Zeit für die zwischenzeitliche Restaurierung des
Habitats bzw. die Suche nach einem geeigneten
Ersatzgewässer gewonnen werden kann. Die Chancen
hierfür müssen realistisch eingeschätzt werden
(notwendiger Finanzierungsbedarf, Projektträger,
Zeitrahmen).
Wie sind die Anforderungen an die
Zucht?
Welche Anzahlen junger Perlmuscheln
sollen pro Bestand und Jahr produziert werden?
D.h. welche Zahlen sind notwendig, um das
jeweilige Vorkommen dauerhaft am Leben halten zu
können? Eine grobe Orientierung können dabei eine
population-viability Analyse und die Anforderungen
von Young et al. (2000) an ein ideales
Perlmuschelgewässer geben.
Mit welchen Kosten ist der Aufbau
und Betrieb einer Zuchtstation verbunden?
Für eine realistische Kalkulation
der Kosten kann auf Erfahrungen bestehender
Arbeitsgruppen (Michael Lange, Team Luxemburg,
USA) zurückgegriffen werden.
Kosten Ersteinrichtung: ca. 2 Mio Euro (auch bei
Anbindung an eine bestehende Fischzuchtanlage)
Betriebs- und Materialkosten: 100-200.000 Euro pro
Jahr
Personalkosten: 3 Vollzeitstellen, davon 1
wissenschaftlich plus 1-2 "Springer" für Urlaubs-
und Wochenendvertretungen
Kann der dauerhafte Betrieb einer
Zuchtstation sichergestellt werden?
Die Einrichtung einer Muschelzucht
setzt voraus, dass ihr Betrieb über mindestens 5,
besser noch 10 Jahre ohne Einschränkungen möglich
ist. Dazu gehört eine dauerhafte, feste personelle
Besetzung und die definitive Sicherung der
finanziellen Mittel für den Gesamtzeitraum zu
Projektbeginn.
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Ist ein Monitoring der Muschelbestände
gewährleistet?
Ein jährliches Monitoring verbliebener
Muscheln bzw. ausgewilderter Jungtiere ist unbedingt
erforderlich und sollte daher als Erfolgskontrolle über
einen längeren Zeitraum einkalkuliert werden.
Kosten (grobe Schätzung): 3.000 - 5.000 Euro / Bestand und
Jahr.
5 Synthese
Der Erhalt der Flussperlmuschel in Bayern
kann prinzipiell nur mit einem sofortigen, allerdings
langfristigen und ganzheitlichen Konzept gelingen. Die
Entscheidung über den künftigen Weg des Muschelschutzes
erfordert neben der naturschutzfachlichen Diskussion eine
klare politische Willensbekundung. Unter Umständen kann es
hierfür sinnvoll sein, auf der Grundlage des
Flussperlmuschel-Leitfadens einen "bayerischen Aktionsplan
für die Flussperlmuschel" (vgl. Araujo & Ramos 2001)
zu erarbeiten und darin alle Schutzziele und -maßnahmen
konkret zu formulieren.
Um keine Zeit zu verlieren, sollte mit der Erarbeitung von
konkreten Projektskizzen für die prioritären Populationen
unverzüglich begonnen werden. Eine Aufstellung der
Gesamtkosten je Bestand erhöht dabei die Aussichten,
entsprechende Projektträger und -mittel akquirieren zu
können. Die Voraussetzungen für die Umsetzung von
Projekten scheinen momentan relativ gut zu sein:
- Bayern ist aufgrund der FFH-Richtlinie eine eindeutige
Verpflichtung zum Erhalt der Art eingegangen. Konkrete
Umsetzungsmaßnahmen sind in den Managementplänen
enthalten. Auch wenn zukünftig weniger Haushaltsmittel zur
Verfügung stehen, wird die Umsetzung der Managementpläne
voraussichtlich prioritäres Ziel sein.
- Die Bayerische Biodiversitätsstrategie verpflichtet
nicht nur das Umweltministerium zur Umsetzung. Maßnahmen
zum Erhalt der Flussperlmuschel stellen auch für das
StMELF mit der Landwirtschafts- und Forstverwaltung, der
Fischerei, den AELF und den ALE, die Abteilung 5
(Wasserwirtschaft), die Oberste Baubehörde im StMI und
andere Ressorts eine Verpflichtung dar.
- Die Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet die
Wasserwirtschaftsverwaltung in den kommenden Jahren bzw.
Jahrzehnten zu umfangreichen Verbesserungsmaßnahmen in den
bayerischen Fließgewässern.
Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz erheblicher
Haushaltsmittel aus den verschiedenen Ressorts sowie die
logistische Unterstützung (z. B. durch
Flurneuordnungsverfahren oder durch gezielten Einsatz von
Agrarumweltprogrammen) nicht unrealistisch und die
notwendigen Habitatverbesserungen können so auch in
größerem Maßstab verwirklicht werden.
6 Literatur
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Erfolgreiche Artenschutzmaßnahmen für die Flussperlmuschel
Margaritifera margaritifera L. durch Reduzierung von
unnatürlichen Feinsedimentfrachten in Fließgewässern. -
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Wasserwirtschaftsamt Hof: Die Flussperlmuschel in Europa:
Bestandssituation und Schutzmaßnahmen. Tagungsband: 35-44.
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